|
"Spottet
meiner nicht!
Ich bin ein schwacher, kind'scher, alter Mann,
Achtzig und darüber, keine Stunde mehr
Noch weniger, und grad heraus,
Ich fürchte fast, ich bin nicht recht bei Sinnen.
Mich dünkt, ich kenn Euch, kenn auch diesen Mann,
Doch zweifl' ich noch, denn ich begreif es nicht,
An welchem Ort ich bin. All mein Verstand
Entsinnt sich dieser Kleider nicht, noch weiß ich,
Wo ich die Nacht schlief."
(William Shakespeare, König Lear. Übers. von W.
H. Graf Baudissin, Stuttgart, 2001. S. 95)
Diese
Beschreibung verdeutlicht sehr treffend die Auswirkung einer
Demenzerkrankung, wie sie aus der Sicht des Betroffenen
erlebt wird. Welchen gesellschaftlichen Stellenwert die
Erkrankung Demenz zusätzlich einmal erlangen würde,
war allerdings bis vor wenigen Jahrzehnten kaum absehbar.
Nachdem
das Thema Demenz lange Zeit kaum im öffentlichen Interesse
stand, hat es sich, bedingt durch die Bevölkerungsentwicklung
und die damit verbundene Zunahme von Demenzerkrankungen,
in den letzten Jahren zu einer Thematik von hoher Bedeutung
entwickelt. "Die Bundesregierung sieht im Thema Demenz
ebenfalls eines der dringendsten altenpolitischen Probleme."
(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, 2001b, S. 19).
Da der Großteil der Demenzerkrankungen bislang nicht
medikamentös geheilt werden kann, ist vor allem eine
adäquate Betreuungsform die wirksamste Therapie, um
die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten oder
zu verbessern. Aufgrund dieses Sachverhalts besteht die
Notwendigkeit, dementengerechte Betreuungskonzepte zu entwickeln,
eine Forderung, die sich unter anderem an Sozialpädagogen
und Sozialgeragogen richtet. Zusätzliche Aufgaben sind
die Weiterentwicklung und Einführung solcherKonzepte
in die praktische Arbeit mit Demenzerkrankten sowie die
Beratung von Betroffenen, Angehörigen und professionellen
Pflegekräften. Die Umsetzung der Qualitätssicherung
in der Dementenpflege sowie Schulungen und Fortbildungen
für betreuende Personen sind ebenfalls Tätigkeiten,
die im Berufsfeld Sozialpädagogik berücksichtigt
werden. Das betrifft insbesondere den Sozialgeragogen, der
als speziell ausgebildeter Sozialpädagoge für
diesen Aufgabenbereich prädestiniert ist. Dies gilt
umso mehr, da bei der Versorgung dementer Menschen die adäquate
Form der Betreuung und nicht die körperliche Pflege
im Mittelpunkt steht, um dieser Personengruppe eine optimale
Versorgung zu bieten. Thema dieser Arbeit ist die Vorstellung
und Überprüfung solcher Betreuungskonzepte.
Ziel dabei war es, sowohl einen Überblick über
die Erkrankung Demenz und die Problematik in der Betreuung
demenzerkrankter Menschen zu geben, als auch die verschiedenen
Betreuungskonzepte im Vergleich zu beschreiben und zu diskutieren.
Zunächst werden die Auswirkungen der Krankheit Demenz
aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Neben einer
Beschreibung der Demenz als Krankheit aus einem medizinischen
Blickwinkel wird vor allem auf die gesellschaftliche Problematik,
die sich aus der Zunahme von Demenzerkrankungen ergibt,
eingegangen. Berücksichtigt wurde die Sichtweise der
Betroffenen, zu denen auch Angehörige und Pflegepersonal
gehören, denn "Demenz" bedeutet ein persönliches
Problem nicht nur für die Erkrankten und ihre Angehörigen,
oft ist der Umgang mit Demenzerkrankten auch eine ganz persönliche
Herausforderung für das mit der Betreuung beauftragte
Pflegepersonal. In diesem Zusammenhang erfolgt auch ein
Überblick über die historische Entwicklung der
Pflege Demenzerkrankter.
In einem zweiten Teil werden die Ergebnisse einer empirischen
Erhebung zur Betreuung dementer Menschen vorgestellt. Es
wurde die Form der Dementenbetreuung in Altenheimen der
Stadt Marburg untersucht, wobei der Schwerpunkt darauf lag,
die Einstellung des Pflegepersonals zu Demenz und Demenzerkrankten
zu erfragen und die praktische Umsetzung von theoretischen
Betreuungskonzepten und deren Auswirkung zu überprüfen.
Abgesehen von der Tatsache, dass der Betreuung dementer
Menschen zur Zeit im Themenkomplex "Alte Menschen in
der Gesellschaft" eine vorrangige Rolle zugeordnet
wird (der 4. Altenbericht, der am 17.04.2002 veröffentlicht
wurde, trägt den Titel "Risiken, Lebensqualität
und Versorgung Hochaltriger - unter besonderer Berücksichtigung
demenzieller Erkrankungen"), sind es auch ganz persönliche
Beweggründe, die diese Thematik für mich interessant
erscheinen lassen.
Ich konnte selbst durch eine Einzelbetreuung, verschiedene
Praktika und eine Teilzeitbeschäftigung in einer Tagespflegeeinrichtung
bereits einige Erfahrungen in der Betreuung dementer Menschen
sammeln. Diese praktische Erfahrung zeigte mir sehr deutlich,
dass sich der Umgang mit dementen Menschen ohne fundierten
theoretischen Hintergrund nicht nur unerwartet schwierig
gestalten kann, sondern dass hieraus auch sehr schnell Gefühle
der Hilflosigkeit und der Überforderung resultieren
können. Ich halte aufgrund meiner eigenen Erfahrungen
adäquate Betreuungskonzepte für außerordentlich
wichtig, um ein grundlegendes Verständnis für
die Erkrankung und den Erkrankten zu entwickeln, so dass
Betreuer einen leichteren Zugang zu Demenzerkrankten finden
und sinnvolle Betreuungsstrategien einsetzen können.
Dadurch ergeben sich nicht nur sehr positive Auswirkungen
für die betroffenen dementen Menschen, die sich in
einem gesteigerten Wohlbefinden zeigen, auch die betreuende
Person kann sehr von sinnvollen Betreuungskonzepten profitieren,
wenn die Betreuung Demenzerkrankter als eine erfüllende
Arbeit erfahren wird.
Obwohl
schon lange bekannt ist, dass eine adäquate Betreuung
dementer Menschen entscheidend zur Lebensqualität der
Betroffenen und der Arbeitszufriedenheit der Betreuenden
beiträgt und brauchbare theoretischeKonzepte vorhanden
sind, vermisst man leider in der praktischen Anwendung ihre
breite Umsetzung und Überprüfung.
Der Stand der nicht-medizinischen Forschung zum Thema Demenz
ist insgesamt betrachtet nicht ausreichend. Das liegt zum
einen daran, dass der Erkrankung bisher zu wenig Beachtung
geschenkt wurde, zum anderen konzentrierte sich die Forschung
sehr stark auf die medizinischen Aspekte der Demenz mit
dem Ziel, eine medizinische Therapie anbieten zu können.
Die bisher durchgeführten Studien im nicht-medizinischen
Bereich belegen jedoch die Erfolge einer an die Bedürfnisse
dementer Menschen angepassten Pflege bzw. Betreuung, besonders
in Hinsicht auf ein gesteigertes Wohlbefinden der Erkrankten
und einer positiven Beeinflussung des Krankheitsverlaufs.
Untersuchungen zur Betreuung Demenzerkrankter belegen aber
auch, dass die Betreuungsform, besonders in stationären
Einrichtungen, noch stark verbesserbar ist.
Deshalb wurde eine empirische Untersuchung in Altenheimen
in die Arbeit integriert. Obwohl der Prozentsatz der dementen
Heimbewohner in den letzten Jahren stark angestiegen und
das Pflegepersonal täglich mit der Betreuung dementer
Menschen konfrontiert ist, gibt es erstaunlich wenige Untersuchungen,
in denen Pflegekräfte in der Altenpflege zu Wort kommen
und Defizite in der Betreuung von Demenzerkrankten aufgedeckt
werden können. Die Pfleger oder Betreuer sind letztlich
aber die wichtigsten Personen im Prozess der Umsetzung adäquater
Betreuungskonzepte, da sie täglich eben diese Umsetzung
in die Praxis leisten müssen. Außerdem sind entsprechend
ausgebildete Betreuungs- bzw. Pflegekräfte, da sich
die Betreuten aufgrund ihrer Demenz selbst nur sehr eingeschränkt
zu ihrer Situation äußern können, die Personengruppe,
die am besten mit und für demente Menschen sprechen
kann.
|
|