2.1
Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Bevölkerungszahl
in Deutschland kontinuierlich angestiegen. Zur Zeit beläuft
sie sich auf etwa 82 Millionen Einwohner. Nach Angaben des
Statistischen Bundesamts Deutschland wird sie sich in den
kommenden Jahrzehnten aber deutlich reduzieren. Für
das Jahr 2050 wird eine Einwohnerzahl von etwa 70 Millionen
vorhergesagt, was in etwa der von 1950 entspricht.
Im Hinblick auf Alterskrankheiten, insbesondere der Demenz,
ist die Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung
ein wichtiger Aspekt. Ihr Wandel in Deutschland ist im Folgenden
in Tabelle 1 dargestellt (Angaben in Prozent).
Tabelle 1: Entwicklung der Altersstruktur in Deutschland
(Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, Kap. 2.4)
Wie
aus Tabelle 1 ersichtlich, schreitet das Altern der Bevölkerung
kontinuierlich fort. Während der Anteil der Menschen
über dem sechzigsten Lebensjahr im Jahr 1950 nur 14,6%
der Bevölkerung ausmachte, lag er im Jahr 1995 schon
bei 21,1%.
Die Verschiebung der Altersstruktur in der Bevölkerung
hängt hauptsächlich von den Einflussfaktoren "Geburtenrate"
und "Lebenserwartung" ab. Die Geburtenrate hat
sich bei den nach 1930 geborenen Frauen von Jahr zu Jahr
reduziert. Beim Geburtsjahrgang 1930 lag die durchschnittliche
Geburtenrate bei 2,1 Kindern. Nach Schätzungen des
Statistischen Bundesamts Deutschland wird sich die Geburtenrate
beim Geburtsjahrgang 1968 nur noch auf voraussichtlich 1,4
Kinder im Durchschnitt belaufen. Im Gegensatz zur abnehmenden
Geburtenrate ist die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten
stetig angestiegen. Hierbei ist nicht mehr wie in der Vergangenheit
die stark sinkende Säuglingssterblichkeit verantwortlich,
sondern die steigende Lebenserwartung alter Menschen, die
sich u. a. aufgrund verbesserter medizinischer Versorgung
erhöht. Der steigende Anteil sehr alter Menschen bedingt
die Entstehung des "vierten Lebensalters", zu
dem die über 80jährigen Menschen gezählt
werden (vgl. Gesundheitsbericht für Deutschland 1998,
Kap. 2.4).
Gerade diese Personengruppe ist ausschlaggebend für
die Prävalenz von Alterskrankheiten.
2.2
Epidemiologie der Demenz
Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung und der Verschiebung
der Altersstruktur in Deutschland hat die Zahl der Demenzerkrankten
in den vergangenen Jahrzehnten beträchtlich zugenommen.
Demenz tritt hauptsächlich ab dem 65. Lebensjahr auf
und das Erkrankungsrisiko steigt mit zunehmenden Alter -
fast 70% der Erkrankten sind über 80 Jahre alt (vgl.
Bickel, 1999). In der nachstehenden Abbildung 1 ist die
mittlere Prävalenzrate von Demenzen in Abhängigkeit
vom Lebensalter wie von Bickel angegeben dargestellt.
Abbildung 1: Prävalenz von Demenzen nach dem Alter
Auch
andere Studien kommen zu ähnlichen Resultaten und schätzen,
dass 6,5 bis 8,7 Prozent der älteren Bevölkerung
jenseits des 65. Lebensjahrs in Deutschland an einer Demenz
leiden. Das entspricht einer Gesamtzahl von 0,83 bis 1,1
Millionen Erkrankten. Wenn in naher Zukunft keine Erfolge
in der Prävention und der Therapie von Demenz erzielt
werden können, geht H. Bickel davon aus, dass die Zahl
der Demenzerkrankten weiter ansteigt. Nach seinen Schätzungen
wird sich ihre Anzahl bis zum Jahr 2040 um ca. 500 000 erhöhen.
Aber auch Personen unter 65 Jahren können an einer
Demenz, der sogenannten präsenilen Demenz, erkranken.
Die Prävalenz dieser Demenzform ist jedoch wesentlich
geringer. Es wird davon ausgegangen, dass es in Deutschland
etwa 20 000 bis 30 000 Erkrankte gibt und sich die Zahl
der Neuerkrankungen jährlich auf etwa 4000 bis 6000
Fälle beläuft.
Daten zur Inzidenz der Demenz, d.h. die Anzahl der Neuerkrankungen
pro Jahr, beruhen ebenfalls auf Schätzungen. S. Gao
kommt zu dem Ergebnis, dass das Neuerkrankungsrisiko bei
Personen über 65 Jahren insgesamt bei 1,61 % liegt,
was einer Gesamtzahl von zirka 200 000 Personen pro Jahr
in Deutschland entspricht (vgl. Gao et al., 1998). Die folgende
Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse von S. Gao.
Abbildung 2: Inzidenz von Demenzen nach dem Alter
Von
einer dementiellen Erkrankung sind deutlich mehr Frauen
als Männer betroffen. Dies ist jedoch nicht auf ein
höheres Erkrankungsrisiko von Frauen zurückzuführen,
sondern auf ihre höhere Lebenserwartung und die damit
verbundene Überrepräsentation von Frauen in den
höchsten Altersstufen. Deshalb entfallen etwa 70% der
bestehenden Demenzen und Neuerkrankungen auf Frauen und
nur 30% auf Männer (vgl. Bickel, 1999).
Abschließend muss betont werden, dass die Angaben
zu Prävalenz und Inzidenz auf Schätzungen beruhen
und nicht auf statistisch gesicherten Ergebnissen. Dies
liegt zum einen an der Schwierigkeit, leichte Demenzen zu
diagnostizieren, da sie sich nur schwer von normalen, altersbedingten
kognitiven Einschränkungen abgrenzen lassen. Zum anderen
sind empirische Untersuchungsmethoden für die Erfassung
von dementiellen Erkrankungen überwiegend unzureichend.
Viele zuverlässige Standardtests messen lediglich die
kognitive Beeinträchtigung, nicht jedoch andere Aspekte
der Demenz.
Außerdem werden bei empirischen Erhebungen oft relativ
kleine Stichproben untersucht, Personen aus der Langzeitpflege
nicht miteinbezogen, und die Bereitschaft, an solchen Untersuchungen
teilzunehmen, ist in der Regel gering. Damit erklärt
sich auch, warum die Ergebnisse aus verschiedenen statistischen
Erhebungen zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen (vgl.
Kitwood, 2000, S. 51f.).
2.3
Folgen der Demenz für die Gesellschaft
"Demenzen sind die Alterskrankheit der Zukunft. Darauf
muss sich unsere Gesellschaft einstellen." (Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001c). Diese
Aussage stammt von der Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann, anlässlich
des Welt-Alzheimertages am 23.09.2001. In Bezug auf die
Krankheit Demenz stehen zwei gesellschaftliche Aufgabenbereiche
im Vordergrund: die Deckung der Kosten, die durch Demente
verursacht werden und die Sicherstellung ihrer adäquaten
Betreuung.
2.3.1 Kosten der Demenz
Bei der Pflege eines Demenzkranken können finanzielle
Ansprüche geltend gemacht werden. Dabei fallen für
die Leistungen der Pflegeversicherung und bei Bedarf der
Sozialhilfe der größte Anteil der gesellschaftlichen
Kosten an.
Die Ermittlung der Pflege- und Betreuungskosten, die durch
Demenzen entstehen, stellt sich dabei äußerst
schwierig dar. Dies hängt einerseits mit den unterschiedlichen
Angaben über den notwendigen Zeitaufwand bei den ambulanten
Pflegediensten zusammen, andererseits werden die Kostenrechnungen
durch die unterschiedlichen Kostenschätzungen je Pflegestunde
unsicher (vgl. Laschet, 1997, S. 14f.). Nach Angaben des
Instituts für Gesundheits-Systemforschung in Kiel sind
in Deutschland im Jahr 1993 für Demenzkranke Pflegeleistungen
im Gegenwert von 54,5 bis 73,8 Milliarden DM erbracht worden.
Der größte Anteil (71,6%) dieser Leistungen wurden
dabei in der Regel unentgeltlich von Angehörigen erbracht.
Von den berechneten Gesamtkosten wurden also lediglich etwa
28% tatsächlich ausgegeben. Davon entfallen 21,8% auf
Einrichtungen der stationären Altenhilfe, 5,8% auf
ambulante Pflegedienste und 1% auf Fachkrankenhäuser
(vgl. Rudolph, 1997, S. 4-6).
2.3.1.1 Leistungen der Pflegeversicherung
Demente Menschen haben Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung
(PV), wenn sie für die Alltagsbewältigung dauerhaft
und für mindestens 90 Minuten täglich auf Hilfe
und Betreuung angewiesen sind. Die finanziellen Leistungen
richten sich dann nach dem Grad des Pflegebedarfs, der wiederum
vom zeitlichen Aufwand der pflegerischen Hilfe abhängt
(vgl. Gratzl-Pabst, 2001, S. 317). Unter pflegerischen Hilfen
werden im § 14 SGB XI die Unterstützung der Körperpflege,
der Ernährung und der Mobilität genannt. Die Stufen
der Pflegebedürftigkeit bemessen sich nach § 15
(1) SGB XI (1999) wie folgt:
"Für die Gewährung von Leistungen nach diesem
Gesetz sind pflegebedürftige Personen (§ 14) einer
der folgenden drei Pflegestufen zuzuordnen:
1.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige)
sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung
oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen
aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich
der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in
der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung
benötigen.
2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige)
sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung
oder der Mobilität mindestens dreimal täglich
zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und
zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen
Versorgung benötigen.
3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige)
sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung
oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch
nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach
in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung
benötigen."
Zusätzlich
wird der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder
eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson im
wöchentlichen Durchschnitt pro Tag für die Versorgung
aufwänden muss, berücksichtigt (Tabelle 2).
Tabelle 2: Zeitaufwand pro Pflegestufe
Die
Festsetzung der Pflegestufe im Einzelfall erfolgt durch
die Begutachtung des Antragstellers durch den Medizinischen
Dienst der Krankenkassen (MDK).
Je nach Pflegestufe können bei häuslicher Pflege
finanzielle Leistungen in Form von Geld- oder Sachleistungen
oder einer Kombination aus beiden in Anspruch genommen werden.
Geldleistungen werden gewährt, wenn die Pflege von
Familienangehörigen oder anderen Personen übernommen
wird. Die höheren Sachleistungen können in Anspruch
genommen werden, wenn ein professioneller Pflegedienst die
Pflege durchführt (vgl. Gratzl-Pabst, 2001, S. 318).
Die Leistungshöchstsätze pro Monat bei der häuslichen
Pflege sind Tabelle 3 zu entnehmen.
Tabelle 3: Leistungshöchstsätze bei häuslicher
Pflege
Neben
den Geld- und Sachleistungen werden noch weitere finanzielle
Leistungen durch die Pflegeversicherung erbracht. Dazu gehört
die Ersatzpflege, die eine Pflegeperson im Krankheitsfall
oder Urlaub in Anspruch nehmen kann. Die Betreuung und Pflege
des Demenzerkrankten kann bei der sogenannten Verhinderungspflege
durch einen ambulanten Pflegedienst, eine privat organisierte
Person oder andere Einrichtungen (jedoch keiner Kurzzeiteinrichtung)
übernommen werden. Kosten in Höhe von maximal
1432 EUR pro Jahr werden von der PV übernommen.
Zusätzlich kann einmal im Jahr für höchstens
vier Wochen Kurzzeitpflege in einer stationären Einrichtung
von der PV bewilligt werden. Dafür stellt die Pflegekasse
ebenfalls einen jährlichen Betrag von 1432 EUR zu Verfügung.
Zu den weiteren Leistungen der Pflegeversicherung zählen
finanzielle Zuschüsse für Pflegehilfsmittel (max.
31 EUR pro Monat), für behindertengerechte Umbaumaßnahmen
der Wohnung (max. 2557 EUR pro Antrag) und für technische
Hilfsmittel, die jedoch in der Regel ausgeliehen werden
können.
Außerdem können Angehörige, die wöchentlich
weniger als 30 Stunden erwerbstätig sind und mindestens
14 Stunden pro Woche einen Demenzkranken pflegen, Beiträge
in die Rentenversicherung beanspruchen und sind kostenlos
gesetzlich unfallversichert (vgl. Gratzl-Pabst, 2001, S.
319f.; Techniker Krankenkasse, 2002).
Neben den finanziellen Leistungen in der häuslichen
Pflege bietet die PV auch Leistungen zur stationären
Pflege im Heim, wobei sich die Leistungshöhe ebenfalls
nach der Pflegestufe richtet (Tabelle 4).
Tabelle 4: Leistungssätze bei stationärer Pflege
2.3.1.2 Leistungen der Sozialhilfe
Sozialhilfe für die häusliche Pflege wird einer
pflegebedürftigen Person gewährt, wenn alle anderen
Leistungen, auf die ein Anspruch besteht, ausgeschöpft
sind. Dies sind die Leistungen der PV, Leistungen der Unterhaltspflicht
durch Verwandte in gerader Linie, Leistungen der Beihilfe
und der Rentenversicherungsträger. Zusätzlich
müssen die Ersparnisse bis auf ein sogenanntes "Schonvermögen"
(2301 EUR für Alleinstehende, 2915 EUR für Ehepaare)
verbraucht sein. Sind alle Voraussetzungen erfüllt,
übernimmt das Sozialamt die Kosten für die Pflege
durch einen ambulanten Dienst. Dies jedoch nur, wenn die
Unterbringung im Heim nicht wesentlich kostengünstiger
ist. Außerdem können über die Sozialhilfe
Kurzzeitpflegeeinrichtungen, Tagespflegeeinrichtungen und
Haushaltshilfen finanziert werden. Neben der Sozialhilfe
für die häusliche Pflege finanziert das Sozialamt
unter den oben genannten Voraussetzungen auch die Pflege
im Heim (vgl. Gratzl-Pabst, 2001, S. 320-323).
2.3.2 Betreuungsformen für Demente
Ebenso wie die Kosten, wird auch die Betreuung Dementer
zur Zeit primär von den Angehörigen der Betroffenen
geleistet. "Ohne die Bereitschaft der Angehörigen,
die schwere Betreuungsaufgabe zu übernehmen, würde
die Gesellschaft vor einem kaum lösbaren Versorgungsproblem
stehen." (Baier, 2001, S. 398).
Etwa 75% aller Demenzerkrankten werden zu Hause von Familienangehörigen
betreut. Jedoch wächst der Anteil derjenigen, die im
Verlauf der Krankheit in stationären Einrichtungen
versorgt werden, sie beträgt gegenwärtig schon
über 60% (vgl. Bruder, 2001a, S. 408).
Die familiäre Betreuung wird in Zukunft immer unsicherer.
Die Gründe dafür liegen nur teilweise in der Zunahme
des Altenanteils in der Bevölkerung und der damit zusammenhängenden
Prävalenz der Demenzen (vgl. Kap. 2.2). Entscheidend
für die eher rückläufige familiäre Betreuung
ist jedoch die Entwicklung der Familien- und Wohnformen
in der Bevölkerung. In Deutschland nimmt die Anzahl
der Ledigen und Kinderlosen stetig zu, und die Geburtenrate
hat sich in den letzten Jahrzehnten stark reduziert. Daraus
folgt, dass der Prozentsatz an Einpersonenhaushalten weiterhin
zunimmt und es weniger Mehrgenerationenhaushalte gibt. Diese
Entwicklung bedingt, dass ein steigender Anteil der Bevölkerung
in Zukunft nicht mehr über ein familiäres Netzwerk
verfügen wird und die Betreuung dementer Menschen durch
Angehörige zunehmend unsicherer wird (vgl. Gesundheitsbericht
für Deutschland 1998, Kap. 2.4).
Heute wird die Betreuung dementer Familienangehöriger
überwiegend von weiblichen Angehörigen (Ehefrauen,
Töchter, Schwiegertöchter) geleistet. Im Zuge
der verstärkten Erwerbstätigkeit von Frauen werden
aber in Zukunft viele dieser potentiellen Pflegekräfte
wegfallen und der Bedarf an stationären Pflegeplätzen
in der Gesellschaft ansteigen (vgl. Laschet, 1997, S. 14).
Unterstützt werden kann die häusliche Pflege Demenzkranker
durch ambulante Pflegedienste, deren Anzahl Besonders nach
der Einführung der Pflegeversicherung sprunghaften
anstieg und heute (Stand 1999) über 13000 beträgt
(vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, 2001b, S. 108). Jedoch nehmen nur relativ wenige
demente Menschen diese Leistungen in Anspruch. Nach Angaben
des Instituts für Gesundheits-System-Forschung in Kiel
lag die Zahl der Dementen, die zu Hause lebten und durch
einen ambulanten Pflegedienst mitbetreut wurden, im Jahr
1993 zwischen etwa 129 000 und 174 000, und die Schätzung
für das Jahr 2000 belief sich auf 138 000 bis 186 000
Personen (vgl. Laschet, 1997, S. 15).
Zusätzlich zu den ambulanten Pflegediensten kann die
häusliche Pflege Demenzkranker durch teilstationäre
Einrichtungen ergänzt werden. Dazu zählen Tagesstätten,
Tagespflegeeinrichtungen und Tageskliniken. Tagespflegeeinrichtungen
spielen bei einer längerfristigen Betreuung Dementer
die größte Rolle, da ihr Angebotsspektrum eher
auf leichtgradig Demenzkranke zugeschnitten ist und die
Aufenthaltsdauer in Tageskliniken auf die Zeit der notwendigen
Behandlung begrenzt ist (vgl. Gratzl-Pabst, 2001, S. 343f.).
Im Jahr 1998 wurden in Deutschland 1777 Tagespflegeeinrichtungen
mit einem Angebot von ca. 23 000 Plätzen registriert
(vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, 2001b, S.121). Ihr Leistungsspektrum umfasst
überwiegend aus verschiedene Beschäftigungsangebote
und weniger grundpflegerische Hilfen. Vorrangiges Ziel ist
es, pflegende Angehörige zu entlasten und die Unterbringung
des Pflegebedürftigen im Heim zu verhindern oder hinauszuzögern
(vgl. Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf,
2001, S. 69).
Eine weitere Betreuungsform für demente Menschen stellen
stationäre Einrichtungen, z.B. Alten- und Pflegeheime
oder gerontopsychiatrische Wohngruppen, dar. Rund 40% der
mittelgradig bis schwer Demenzkranken werden in stationären
Einrichtungen betreut, und ca. zwei Drittel aller Dementen
werden im Verlauf der Krankheit in stationären Pflegeeinrichtungen
versorgt (vgl. Wojnar, 2001a, S. 35). Insgesamt sind in
Deutschland (Stand 1997) etwa 11 000 stationäre Alteneinrichtungen
mit knapp 700 000 Plätzen vorhanden (vgl. Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001b, S.
124). Davon werden 35% bis 60% von Demenzkranken in Anspruch
genommen (vgl. Gesundheitsbericht für Deutschland 1998,
Kap. 5.13).
2.3.3 Defizite in der Versorgung dementer Menschen
In den letzten Jahren lassen sich viele positive Trends
in der Versorgung Demenzerkrankter verzeichnen (vgl. Kap.
5.8, 6.1). Sie dürfen jedoch nicht über die bestehenden
großen Lücken in der Versorgung hinwegtäuschen.
So weist z. B. die Pflegeversicherung viele Schwächen
für Demente auf. Die Pflegeversicherung ist hauptsächlich
für Menschen mit körperlichen Behinderungen konzipiert
und berücksichtigt nur unzureichend die Bedürfnisse
von psychisch Erkrankten, welche auch nicht von den Begutachtungsmethoden
des MDK erfasst werden. Demente Personen können also
nur dann Leistungen der PV beanspruchen, wenn ein erheblicher
Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege oder der hauswirtschaftlichen
Versorgung besteht. Bei dementen Menschen stehen jedoch
die soziale Betreuung und Beaufsichtigung im Vordergrund,
was jedoch bisher nicht von der PV finanziert wurde (vgl.
Fuhr, 1997, S. 37). Ab April 2002 können Demenzkranke
sowie Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychiatrischen
Erkrankungen Betreuungsleistungen der PV beantragen. Sie
belaufen sich auf maximal 460 EUR pro Jahr. Voraussetzung
ist jedoch auch hier die Einstufung der betreffenden Person
in eine Pflegestufe durch den MDK (vgl. Techniker Krankenkasse,
2002).
Auch die Betreuungseinrichtungen zeigen Defizite. Ihre Anzahl
ist insgesamt zu gering, besonders die der Kurzzeitpflege-
und Tagespflegeeinrichtungen (vgl. Fuhr, 1997, S. 38). Außerdem
ist das Betreuungsangebot nur in Ausnahmen auf die speziellen
Bedürfnisse dementiell Erkrankter zugeschnitten. Von
allen stationären Einrichtungen bieten z.B. nur etwa
100 ein besonderes Betreuungsangebot für demente Menschen
an (vgl. Wojnar, 2001c, S. 152). Ambulante Pflegedienste
sind ebenfalls ungenügend auf die Betreuung Demenzerkrankter
eingestellt, da die Praxis der Kostendeckung nicht auf die
zeit- und personalintensive Betreuung ausgerichtet ist.
Zudem gibt es insgesamt nur wenige gerontopsychiatrische
ambulante Dienste (vgl. Fuhr, 1997, S. 38).
Ein weiteres Problem in der Versorgung dementer Menschen
liegt in der Qualifizierung der professionellen Betreuungspersonen.
Sowohl die Medizinerausbildung als auch die Ausbildung in
den Pflegeberufen vernachlässigt die Vermittlung gerontopsychiatrischen
Wissens. Dies hat zur Folge, dass für die Betreuung
dementer Menschen ein großer Mangel an qualifizierten
Ärzten und Pflegepersonal besteht und die Betroffenen
in der Regel unsachgemäß betreut werden (vgl.
Garms-Homolová, 2001, S. 96f.).
Auch die Unterstützungsmaßnahmen für pflegende
Angehörige weisen Schwachstellen auf. Hier sind zu
geringe finanziellen Leistungen und ein Mangel an fachlicher
Unterstützung im Alltag, Kurzzeitpflegeeinrichtungen
und Fortbildungen oder psychologischen Betreuung für
Angehörige zu nennen (vgl. Fuhr, 1997, S. 37).
Die beschriebenen Versorgungsdefizite in der Betreuung Demenzkranker
machen deutlich, dass der Handlungsbedarf in diesem Bereich
sehr groß ist. In der Politik sind sie schon lange
bekannt, und die Situation wurde bereits 1996 in einer Veröffentlichung
der Bundesregierung folgendermaßen beschrieben: "Die
derzeitige gerontopsychiatrische Versorgungssituation ist
dadurch gekennzeichnet, dass bestehende Angebote auf die
besonderen Bedürfnisse Demenz-Kranker noch nicht in
ausreichendem Maße eingerichtet sind." (zit.
n. Fuhr, 1997, S. 38). Getan wurde jedoch trotz dieses Wissens
sehr wenig. "Defizite sind analysiert, konkrete Ziele
sind formuliert. Es besteht Handlungsbedarf, doch gehandelt
wird nicht." (Fuhr, 1997, S. 38).
Nachdem das Thema Demenz viele Jahre als rein medizinisches
Problem betrachtet wurde, ist man heute zu der Erkenntnis
gekommen, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem
handelt und der "Druck auf die Verantwortlichen wird
wachsen. Die vermeintlich lange Bank, auf die heute noch
viele Probleme geschoben werden, wird sich früher oder
später als zu kurz erweisen." (Fuhr, 1997, S.
38).